3.1.3.2Selbstpflegehandlungen und WirksamkeitImVergleich zu den Patienten in der Interventionsgruppe führten die Patienten inder Kontrollgruppe in der adjustierten mittleren Gruppendifferenz 2,76Handlungen (bezogen auf insgesamt 50 optionalen Handlungen) bei ANE-Symptomatikweniger aus. Der 95%ige Vertrauensbereich reicht von -8,83 Handlungen bis 3,31 Handlungen, zeigteine Verschiebung zu Gunsten der Interventionsgruppe und schließt die Nulllagemit ein (p=0,28). Diemit der strukturierten Intervention in einem Zusammenhang stehenden Handlungenwurden in der Kontrollgruppe mit geringer Wirksamkeit auf die Reduktion derentsprechenden Nebenwirkungen angewendet, ohne dass der Gruppenunterschiedstatistische Signifikanz erreicht. Die adjustierte mittlere Differenz betrug-5,75 Punkte im Vergleich zwischen Kontroll- und Interventionsgruppe.
Insgesamtwar eine Reduktion von 200 Punkten möglich. Der 95% Vertrauensbereich (-18,81bis 7,30 Punkte) schließt die Nulllage mit ein zeigt aber in seinerVerschiebung eine Tendenz zu Gunsten der Interventionsgruppe (p=0,30). 3.1.4 Zusammenfassung DieEffektlosigkeit der Intervention überrascht nicht vor dem Hintergrund dergeringen Symptomausprägung. Wird die Die ANE-Symptomatik hinsichtlich Prävalenzund Intensität in der Studienpopulation in die Hierarchie aller Nebenwirkungender Chemotherapie eingeordnet, dann stehen für 65/169 (38,5%) der Studienpatienten die sich zu Studieneintritt (t1)bereits in einem Chemotherapiezyklus befanden, Interventionsbeginn Übelkeit und Würgen auf dem siebten Rangvon insgesamt 32 Nebenwirkungen, hinter Fatigue, Haarausfall undStimmungsveränderung (3) (vgl. Tabelle 3). Erbrechenbetraf 35/169 (20,7%) Patienten und lag in diesem Zusammenhang auf Rang 19.
Imzweiten Studienzyklus (t2) gewinnt Übelkeit und Würgen für die Patienten anBedeutung 95/206 (46,1%), bleibt jedoch mit Rang 6 in der Hierarchie nahezuunverändert. Die Inzidenzen von über 60% für akute und verzögerte Nausea alsNebenwirkungen bei Patienten mit Chemotherapie anderer Studien (Glaus 2004,Grunberg 2004, Hofman 2004, Ihbe-Heffinger 2004) wurdennicht erreicht. Tabelle 3 Nebenwirkungen Studienbeginn (t1) Studienende (t3) Rang Anzahl (%) Rang Anzahl (%) Müdigkeit (Fatigue) 1. 110/169 (65) 1. 145/206 (70) Haarausfall 2.
104/169 (62) 2. 135/206 (66) Stimmungsveränderung 3. 77/169 (46) 8.
84/206 (41) Schlafstörung 4. 76/169 (45) 3. 116/206 (56) trockener Mund 5. 66/169 (39) 5. 99/206 (48) Geschmacksstörungen 6. 65/169 (38) 4. 104/206 (50) Übelkeit/Würgen 7. 65/169 (38) 6.
95/206 (46) verminderter Appetit 11. 57/169 (34) 7. 90/206 (44) Schmerzen 15. 51/169 (30) 13.
77/206 (37) Gewichtsabnahme 16. 51/169 (30) 16. 71/206 (34) Erbrechen 19.
35/169 (21) 25. 38/206 (18) Quelle: eigene DarstellungHinzu kommtdie geringe Ausprägung der eingangs festgestellten ANE (CTCAE-Skala). Patientenin der Kontrollgruppe hatten im Mittel eine Ausprägung der ANE-Symptomatik von1,29 Punkten (SD 3,24) und die Patienten in der Interventionsgruppe von 0,44Punkten (SD 1,66). Diese Differenz entspricht in der verwendeten Skala demÜbergang von Übelkeit – nicht vorhanden(0) zu Übelkeit – Appetitverlust ohneVeränderungen der Essgewohnheiten (1). Somit kann geschlussfolgert werden,dass für die betrachtete Patientenpopulation chemotherapie-induzierte ANE alsProblem eher untergeordnet besteht und andere Nebenwirkungen aber größere Beeinträchtigungenverursachen. Insofern bietet die modulare auf das ANE-bedingte Selbstmanagement-bezogeneIntervention zwar ein Interventionsangebot, das aber auf Grund der bestehendenguten Prophylaxe nicht weiter aktiviert werden muss. Kritisch in der Studienplanungmuss daher angesehen werden, dass die Patienten aufgrund des emetischen Risikosder Chemotherapie eingeschlossen wurden.
Die Wirksamkeit der antiemetischenProphylaxe hat eine starke Symptombelastung durch ANE am Patienten verhindert (bspw. Jahn, Renz etal. 2009, Mueller,Jordan et al.
2009, Mueller, Jahnet al. 2009 , Jordan, Jahnet al. 2011, Jahn, Riesneret al. 2015). Innerhalb der Studie konnte dann keinsignifikanter Symptomanstieg beobachtet werden und die Beratungsinterventionist dann hinsichtlich der Wissensanwendung, der Handlungen und Kompetenzen desSelbstmanagements nicht wirksam geworden obwohl unklar bleibt ob im Falle einersignifikanten Verschlechterung der ANE Symptomatik das Selbstmanagement aufBasis der modularen Intervention hätte aktiviert werden können. Zu dem bleibtunklar welchen Einfluss patientenbezogene Barrieren auf das Selbstmanagementhatten. 3.2 Selbstmanagement des Tumorschmerzes 3.
2.1 Hintergrund Schmerzensind immer noch eines der häufigsten und belastensten Symptomebei Krebspatienten, besonders in fortgeschrittenen Stadien der Erkrankung (Reilly,Bruner et al. 2013). Eine Studie von Cheung etal. (2009) zur Prävalenz in mehr als1300 Krebspatienten mit verschiedenen malignen Erkrankungen zeigten dasetwa 85% der Patienten an Schmerzen litten mit einer hohe Intensität (MW 5,0 ;P25-P75 von 2.0-7.0) auf einer 0-10 NRS.
Unzureichend behandelter Tumorscherz beeinträchtigtdie Patienten in Ihren ATLs und reduziert die HRQoL (Giesinger,Wintner et al. 2011, Hamada,Komatsu et al. 2016). Gleichwohlkann durch eine Leitlinien-gerechte Behandlung bei über 90% der Patienten eineausreichende Schmerzlinderung erreicht werden (Meuser 2001,Carlson 2016).
Die Schmerzbehandlungverläuft aber weniger effektiv und wird institutionellen (bspw. unklareVerantwortlichkeiten hinsichtlich Verschreibung), personellen (fehlendesFachwissen) und von patientenbezogenen Barrieren behindert (Jacobsen,Liubarskiene et al. 2009, Jacobsen, Moldrup et al. 2009). ImZusammenhang der nachstationären Versorgung und angesichts der häufiglangfristigen Einnahme der Schmerzmedikation kommt dem Selbstmanagement derPatienten eine besondere Bedeutung zu. Hierfür ist eine aufgeschlosseneEinstellung bzw. keine patientenbezogenen Barrieren eine wichtige Voraussetzung(ebenda). 3.
2.2 Fragestellung und MethodikGelingt es bei onkologischen Patienten mit anhaltenden Schmerzen durcheine das schmerzbezogene Selbstmanagement fördernde Pflegeintervention imVergleich zur kliniküblichen pflegerischen Versorgung in einem stärkeren Maßdie kognitiven Barrieren der Patienten zum Schmerzbehandlung zu reduzieren?3.2.2.1Setting und Patienten An dieser cRCT nahmen 18 onkologischen Stationen undTageskliniken an zwei deutschen Universitätskliniken in Mitteldeutschland undSüddeutschland als randomisierte Einheiten teil (Jahn,Kitzmantel et al. 2010, Jahn, Kuss etal.
2014). DieStudie wurde auf Basis der ICH-GCP und entsprechend der Anforderungen desCONSORT-Statement geplant, durchgeführt und berichtet (Campbell,Elbourne et al. 2004, Campbell, Piaggio et al. 2012).
An beidenStudienzentren erfolgte eine positive Begutachtung durch die jeweiligeEthikkommission. Die Studie wurde registriert bei ClinicalTrials NCT00779597.DerRekrutierungszeitraum betrug 14 Monate (10.2008 – 12.2009) wurden insgesamt 263Patienten in die Studie aufgenommen. Festgesetzte Messzeitpunkte waren dererste Studientag (t0), der Tag vor der stationären Entlassung (t1), der siebteTag nach der Entlassung (t2 = Hauptmessung) sowie zwei Follow up-Messungen am14. (t3) und 28.
Tag (t4) nach Entlassung. Alleinitial randomisierten Stationen verblieben während der gesamtenInterventionsphase in der Studie. Während dieser Zeit erfüllten 483 Patientendie Einschlusskriterien und wurden zur Teilnahme an dieser Studie eingeladen. DieRate der Patienten, die vorzeitig aus der Studie ausgeschieden sind, betrug56/263 (21,3%). Gründe für den vorzeitigen Studienabbruch waren vor allemWiderruf der Studienteilnahme und krankheitsbedingter Tod der Patienten. DieDrop-outs verteilen sich mit 26/128 (20,3%) und 30/135 (22,2%) nahezu gleichauf die Patienten der Interventions- und Kontrollstationen (siehe Abbildung 2).Es wurden keine Gruppenungleichgewichte hinsichtlich der Ausfallratenbeobachtet.
3.2.2.2 Interventionen NachDurchführung der Randomisierung wurde abhängig von der aufnehmenden Stationeiner der beiden Studienarme durchgeführt. Kontrollgruppe(klinikübliche Pflege): Die Patienten, die auf den Stationen der Kontrollgruppeaufgenommen wurden, erhielten als Kontrollintervention (Referenzstandard) dieStandardschmerzbehandlung. Die Pflege von Tumorpatienten mit anhaltendenSchmerzen wurde auf dem Versorgungsniveau einer deutschen Universitätsklinikumgesetzt, ohne speziell auf die kognitiven Barrieren zur medikamentösenSchmerzbehandlung Beratung und Algorithmen gesteuerte evidenzbasierteInterventionen. Interventionsgruppe(Intervention zur Förderung desSchmerz-bezogenen Selbstmanagements): Auf den Stationen derInterventionsgruppe erhielten alle Patienten zusätzlich zurStandardschmerzbehandlung die Intervention zur Förderung des schmerzbezogenenSelbstmanagements. Die Intervention wurde auf Basis einer systematischenLiteraturrecherche zu effektiven Strategien für ein wirksames Schmerzmanagementund den nationalen Expertenstandards zum Schmerz- und Entlassungsmanagemententwickelt (DNQP 2005,DNQP 2009, DNQP 2015).
DasInterventionsprogramm wurde aus drei modularen, auf Algorithmen-basiertenHandlungsprotokollen aufgebaut, die als Handbuch an alle an der Umsetzungbeteiligten Pflegefachpersonen der Interventionsstationen ausgeteilt wurden (Jahn,Kitzmantel et al. 2010).Zusätzlich zum Handbuch wurde eine Mappe mit Studienmaterialen an die Patientenausgegeben. Diese Materialen umfassten eine an das Interventionsprogrammangepasste Informationsbroschüre „Den Schmerz hinter sich lassen …”, einepatientengeführte Dokumentation (Tagebuch), eine Checkliste zurEntlassungsvorbereitung und eine CD mit eine angeleiteten ProgressivenMuskelrelaxation nach Jacobsen (PMR)-Übung (Kohl 2002). Das ersteModul “Pharmakologisches Schmerzmanagement” beinhaltete eine pflegerischeBeratung und Anleitung zur richtigen Schmerzmessung, Mitteilung von Schmerzenund Einnahme der Schmerzmedikation. Hierbei sollte der Patient neben einerausreichenden Wissensgrundlage und aufgeschlossenen Einstellung auch praktischeFertigkeiten erwerben bspw. in der richtigen Applikation des Schmerzpflasters. Das zweiteModul “Non-pharmakologisches Schmerzmanagement” adressierte Informationen zurWirksamkeit von alternativen Methoden zur Schmerzbehandlung und die Anleitungzur Anwendung einer auf CD aufgesprochenen PMR-Übung der mit einer Dauer von 45Minuten (Horlemann andKleine-Voßbeck 2017).
Ziel dieses Moduls war es,den Patienten zusätzlich zur pharmakologischen Behandlung nicht-medikamentöseStrategien aufzuzeigen und einzuüben, um schmerzbelasteten Situationenselbstständig entgegentreten zu können. Das dritteModul “Schmerzbezogenes Entlassungsmanagement” beinhaltete Beratung undAnleitung zur Erhaltung, der im ersten und zweiten Modul erworbenenSelbstmanagementkompetenzen, nach der Beendigung der stationären Behandlung undEntlassung aus dem Krankenhaus. Zusätzlich wurde zur Absicherung derEntlassungsplanung eine patientengeführte Checkliste angewendet. Diese Listebestand aus sieben wichtigen Fragen, die bis zur Entlassung geklärt werdensollten, bspw.: „Wer wird mir mein Rezept für Schmerzmedikamente ausstellen?”oder „Woran erkenne ich, dass meine Schmerzbehandlung nicht optimal ist?” Imdritten Modul wurde beabsichtigt, den Patienten darauf vorzubereiten,Situationen zu erkennen, in denen das schmerzbezogene Selbstmanagementunzureichend ist und angemessene Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Die Inhaltealler drei Interventionsmodule wurden in der 33-seitigen Beratungsbroschüre”Den Schmerz hinter sich lassen…”zusammengefasst. Jeder Themenbereich wurde mitInformation zu entsprechenden kognitiven Einstellungsbarrieren hinterlegt (Ward,Goldberg et al.
1993, Gunnarsdottir, Donovan et al. 2002, Koller and Jahn 2017).3.2.2.
3 Primärer Endpunkt DieWirksamkeit der schmerzbezogenen Selbstmanagement Intervention wurde alsprimärer Endpunkt anhand der mittleren Differenz der Patienten-bezogenen Barrierenfür die Tumorschmerzbehandlung zwischen der Kontroll- und Interventionsgruppe gemessen mit der deutschen Versiondes Barrieren-Fragebogen II (BQ II) (Gunnarsdottir, Donovan et al. 2002), dem am häufigstenverwendeten Instrument. Alle weiteren Endpunkte sind im veröffentlichtenStudienprotokoll beschrieben (Jahn,Kitzmantel et al. 2010) 3.2.2.
4Fallzahlplanung DieStichprobengröße kalkuliert auf Basis des t-Tests (?=0,05) für cRCT (Murray 1998). Hierfür wurde eineklinisch bedeutsame Differenz von 0,4 Punkten (SD 0,7) pro BQ II Itemangenommen mit einer eine ICC von 0,05 und eine Power von 80%. Diese Annahmenergeben eine Stichprobengröße von 208 Studienteilnehmern. Um einen moderatenAusfall zu ermöglichen, mussten 240 Teilnehmer in die Studie aufgenommenwerden. 3.
2.2.5Randomisierung und VerblindungDieRandomisierung der Stationen wurde unabhängig durch das Institut fürMedizinische Epidemiologie, Biometrie und Informatik und erfolgte stratifiziertfür jedes Studienzentrum und gematched nach Stationspaaren anhand einesreproduzierbaren SAS PROC PLAN Code (SAS Institute Inc.
, Cary, NC, USA). Pflegefachpersonendie die Studienintervention umsetzten waren konnten aufgrund der Schulung fürdie Ausführung nicht verblindet werden. Patienten wurden nicht speziell überdie Gruppenzuteilung aufgeklärt. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dasssie sich der Gruppenzuteilung bewusst waren. Zur Kontrolle der wahrgenommenenGruppenzuordnung seitens der Studienteilnehmer wurden diese zumHauptmesszeitpunkt (t2) hierzu befragt. Dabei gaben zwar signifikant mehrPatienten in der Interventionsgruppe (68%) im Vergleich zu den Patienten derKontrollgruppe (39%) an, während der Studie von dem neuen Pflegekonzeptprofitieren zu können. Dieses Ergebnis ist dennoch bemerkenswert, da trotzunterschiedlicher Interventionen doch eine teilweise Verblindungaufrechterhalten werden konnte und die Angaben der Kontrollgruppe lediglich 11%und in der Interventionsgruppe 18% von der 50%-Verteilung einerZufallsschätzung entfernt liegen.
3.2.2.
6Statistische Methoden DieAuswertung hinsichtlich des primären Endpunktes erfolgte im Rahmen derhierarchischen Modelle, der Standardmethode für die Analyse voncluster-randomisierten Studien (Murray 1998). A Priori wurde eineAdjustierung für folgende Kovariaten festgelegt (Alter, Geschlecht, Tumordiagnose,Metastasen; Körperlicher Leistungsstatus (ECOG), Schmerzmanagement/ CleelandPain Management Index (Cleeland 1994), Schmerzdauer,Tumorbehandlung, Depression und Angst sowie Baselineniveau der BQ II Scores. Als Signifikanzniveau wurde eineIrrtumswahrscheinlichkeit von ?=5% zur Testung mit zweiseitigen Ablehnungsbereichfestgelegt. Im Falle eines signifikanten Ergebnisses erfolgt eine Wiederholung derTestung auf hohe Signifikanz mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von ?=1% zur Testung mit zweiseitigenAblehnungsbereich.
Die Auswertung erfolgte Intention to treat.